„Wir nutzten die Mauer als Schutz.“
Nach der Öffnung der Berliner Mauer lag der frühere Grenzstreifen an der East Side Gallery brach. Ab 1991 ließen sich hier Menschen in teilweise stillgelegten Fahrzeugen und umgebauten Bauwagen nieder. Zunächst zog eine West-Berliner Wagenburg hierher, die ihren Standort in Berlin-Mitte räumen musste. Nahe der Oberbaumbrücke ließ sich eine Gruppe nieder, die Hühner, Ziegen und andere Tiere mitbrachte. Zwischen diesen beiden Gruppierungen versammelten sich weitere Menschen aus Berlin, aber auch Zugezogene aus Deutschland und anderen Ländern, jugendliche Ausreißer sowie Kreative. Die Mauer bot einen guten Schutz gegen „Außen“, weder Schaulustige noch die Polizei konnte einfach hineinschauen. Doch war die 1,3 km lange Mauer für die Bewohnerinnen und Bewohner in ihrem Alltag auch ein Hindernis. Um die langen Wege zu vermeiden, schufen sie einen zusätzlichen Durchgang. Das Loch in der Mauer ist heute noch zu sehen und die einzige erhaltene Spur der Wagenburg.
„Die East Side war der Ort, wo die Ausgestoßenen lebten.”
In der so genannte East Side Wagenburg lebten mehr als 250 Menschen. Aufgrund der Größe ließ sich das Zusammenleben nicht mehr in den eigentlich üblichen Plenen gemeinschaftlich organisieren. Die „East Side“ wurde zum sozial schwächsten Wagenplatz Berlins. Es kam zu Konflikten. Erst ab 1994 gab es einige Toilettenhäuser, ein Wasser- und Stromanschluss existierte nicht. Die Presse berichtete mehrheitlich abwertend über den Zustand des Geländes, über Kriminalität und Drogenhandel. Als die Zeitungen 1996 über einen Totschlag auf dem Gelände und Tuberkuloseverdacht schrieben, nahm das mediale und politische Drängen auf eine Räumung zu. Am 17. Juli 1996 ließ der Berliner Senator für Inneres die Bewohnerinnen und Bewohner der „East Side“ räumen.
"Die Menschen, die auf der Wagenburg lebten, waren eigentlich wie auf einer Insel."
Was sind Wagenplätze und -burgen?
„Es ist eine andere Sache, wie in einer Hauskommune, Hausgemeinschaft, in WGs zu wohnen. Das ist eine andere Kategorie einfach.“
Die Menschen leben aus sehr unterschiedlichen Gründen in Wagenburgen. Einige Wagenburgen möchten Schutzräume für gesellschaftlich ausgeschlossene Personen bieten, worauf auch die Bezeichnung als „Wagenburg“ hinweist. Sie bieten ein Zuhause für Menschen, die beispielsweise von Rassismus, Sexismus, Armut, Obdachlosigkeit und familiären Problemen betroffen sind. In anderen Wagenburgen wohnen Menschen, die sich als Aussteiger aus der Gesellschaft sehen oder die etwa an die demokratische Verfasstheit einer kleinen Gemeinschaft glauben. Sie suchen nach einem selbstbestimmten Leben abseits der Regeln des Wohnmarktes. Manche wünschen sich eine andere Form des Wohnens und sehen die Wagenburgen als Alternative zu einer Wohngemeinschaft. Schließlich gibt es auch den Wunsch, der Natur näher zu sein als in einem Haus. Wagenburgen zeichnet in der Regel aus, dass die Menschen sich in allen Lebenslagen unterstützen.
Die Wagenplätze und -burgen unterscheiden sich in ihren politischen Ansprüchen, im Grad ihrer Organisation und in den Einkommens- und Bildungsniveaus ihrer Mitglieder. Gemeinsam ist ihnen, dass die Bewohnerinnen und Bewohner auf einem gemeinsamen Areal in zumeist stillgelegten Anhängern und Fahrzeugen leben. Das soziale Zusammenleben in Wagenburgen und auf Wagenplätzen ist von kollektiven Entscheidungen im Plenum z.B. über den Einzug neuer Mitbewohnerinnen und Mitbewohner geprägt. Die Wagenburgen macht aus, dass die Mitglieder solidarisch miteinander sind. Heute sind viele Wagenplätze an die städtische Infrastruktur wie Wasser- und Stromversorgung angebunden.
„Der Sozialaspekt war ganz wichtig dabei. Dass wir immer gesagt haben: Hier muss niemand klauen. Es gibt für jeden etwas zu essen, es gibt immer einen Schlafplatz, das ist kein Thema.“
Wagenburgen und die Berliner Mauer
Seit Beginn der 1980er Jahre entstanden in West-Berlin Wagenplätze, meist in Verbindung mit Hausbesetzungsprojekten. Einige Wagenplätze siedelten sich schon vor der Grenzöffnung nahe der Berliner Mauer an beispielsweise am Potsdamer Platz. Nach dem 9. November 1989 entstanden neue Wagenburgen im früheren Grenzstreifen, der zunächst brachlag. Viele Bewohnerinnen und Bewohner von Wagenburgen haben die Erfahrung gemacht, einen Platz verlassen zu müssen, wenn die freien Flächen an Investoren verkauft wurden. Auch heute kämpfen Wagenburgen für ihre Freiräume und verhandeln mit dem Land Berlin, den Bezirken und den Eigentümern der Flächen. In Berlin existieren derzeit mehr als 12 Wagenburgen.
Zeitzeugen erinnern sich
Die Wagenburg Lohmühle existiert seit 1991 in Berlin-Treptow und stellt sich auf einer eigenen Webseite vor:
Wem gehört die Stadt?