Vertiefung

RausausderDDR

Fluchtversuche an der Mühlenstraße

„Der Abschnitt Schillingbrücke bis Osthafen ist als absoluter Schwerpunktabschnitt einzuschätzen, da in der Zeit vom 1.8. bis 31.8.1965 9 Personen wegen versuchten Grenzdurchbruch festgenommen wurden. Davon befanden sich bereits vier Personen in der Spree“

Bericht des Kommandeurs der 1. Grenzbrigade an den Stadtkommandanten der Hauptstadt der DDR vom 31.8.1965, Generalmajor Poppe, zum Grenzdurchbruch in der Nacht vom 27.8. bis 28.8.1965 im Abschnitt Brommybrücke/Kirchenruine, S. 5, Quelle: Bundesarchiv

Für den Untersuchungsbericht haben DDR-Grenzsoldaten in dieses Foto vom Grenzstreifen den vermutlichen Fluchtweg des Mannes eingezeichnet, 1965
Für den Untersuchungsbericht haben DDR-Grenzsoldaten in dieses Foto vom Grenzstreifen den vermutlichen Fluchtweg des Mannes eingezeichnet, 1965
Der Geflüchtete hinterließ Jacke und Schuhe im Grenzstreifen, 1965
Der Geflüchtete hinterließ Jacke und Schuhe im Grenzstreifen, 1965

Auch nach der Abriegelung der Grenze zwischen Ost- und West-Berlin am 13. August 1961 flohen Menschen an der Mühlenstraße durch die Spree nach West-Berlin. Die teilweise leerstehenden Häuser und Ruinen boten zahlreiche Verstecke im Grenzstreifen und die Möglichkeit, sich unbeobachtet der Spree zu nähern. So gelang in der Nacht vom 27. auf den 28. August 1965 einem 31-jährigen Bergmann die Flucht nach West-Berlin. Der Bericht der 1. Grenzkompanie für den Stadtkommandanten zeichnet den Weg des Geflüchteten nach. Der Flüchtende war aus der Mühlenstraße durch die Häuser und Ruinen an den Fluss gelangt, hatte dort Tasche und Ausweis zurückgelassen, war in das Wasser gestiegen und vermutlich an das andere Ufer geschwommen. Wie viele Menschen auf diese Weise an der Mühlenstraße nach West-Berlin geflohen sind, konnte bisher nicht abschließend erforscht werden. Mindestens sieben Männer starben bei dem Versuch, an dieser Stelle durch die Spree nach West-Berlin zu gelangen.

Von Grenztürmen aus sollten die Soldaten Fluchtversuche möglichst frühzeitig entdecken.
Von Grenztürmen aus sollten die Soldaten Fluchtversuche möglichst frühzeitig entdecken.

Die DDR-Regierung baute die Grenzanlagen aus, um die Fluchtversuche zu unterbinden. Bis 1977 ließ sie die Häuer an der Mühlenstraße abreißen. Sie errichtete die „Grenzmauer 75“, die mit 3,6 Meter hohen Mauerelementen Fluchten verhinderte.

Im Bild zu sehen ist der DDR-Grenzmatrose Wolfgang Böttger beim Dienst, 1968
Im Bild zu sehen ist der DDR-Grenzmatrose Wolfgang Böttger beim Dienst, 1968

Fluchtversuche von DDR-Grenzsoldaten

Ein wichtiger Baustein der Grenzsicherung waren die an der Grenze eingesetzten Soldaten. Sie patrouillierten in Booten auf der Spree, am Ufer und beobachteten von Wachtürmen aus den Grenzbereich. an der Brommybrücke aus. Auf ihnen ruhte die Verantwortung, Flüchtende aufzuhalten, notfalls durch den Gebrauch ihrer Schusswaffe. Doch waren die an der Grenze eingesetzten Männer in ihrer Gesinnung oft nicht ideologisch gefestigter als der Durchschnitt der DDR-Bürgerinnen und DDR-Bürger. Ein engmaschiges System aus Kontrollen und Bestrafungen, militärischer Drill und Konditionierung sollte dafür sorgen, dass sie die Grenze dennoch bewachten. Immer wieder aber kam es vor, dass Grenzsoldaten versuchten, in den Westen Deutschlands zu fliehen.

So nahmen im Dezember 1971 zwei 20-jährige Grenzer ihrem Kollegen die Waffe ab. Sie zwangen ihn, das am Ufer der Mühlenstraße 74/77 befestigte Grenzkontrollboot zu verlassen. Sie fuhren mit dem Boot an die Kreuzberger Seite und sprangen dort an Land. Ihre Flucht gelang mitten am Tag – in völliger Sichtbarkeit und dem Risiko, von anderen Grenzkontrollbooten gesehen oder gar beschossen zu werden.

Skizze zur Desertion zweier Grenzmatrosen 1971
Skizze zur Desertion zweier Grenzmatrosen 1971

Weiterführende Informationen:

Mehr zu Fluchtversuchen an der Berliner Mauer: https://www.chronik-der-mauer.de/fluchten/

Einführung in die Grenzsicherung der DDR-Grenze: https://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-modernisierung/reformversuche-im-osten/grenzsicherung.html

Mehr zur Beteiligung der Staatssicherheit an der Bewachung der DDR-Grenze: https://www.stasi-unterlagen-archiv.de/informationen-zur-stasi/themen/innerdeutsche-grenze/

Podcastfolge zum Thema Flucht und Ausreiseanträge: Die Podcast-Reihe „Grenzerfahrung“ von der Stiftung Berliner Mauer entstand 2021 anlässlich des 60. Jahrestags des Mauerbaus und wurde gefördert von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. In der Folge „Freiheitsdrang“ geht es um die Menschen, die versuchten, der DDR durch einen Ausreiseantrag oder Fluchtversuch zu entkommen. Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten von ihrer Motivation, ihren Wegen und vom Ankommen in West-Berlin bzw. der Bundesrepublik bzw. von ihrer Verhaftung. https://www.stiftung-berliner-mauer.de/de/stiftung/podcast-grenzerfahrung

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