Die Kunstwerke der East Side Gallery sahen 1990 anders aus als heute. Bereits in den 1990er Jahren machten der ungeeignete Maluntergrund, Beschmierungen und Witterungseinflüsse es notwendig, dass Künstlerinnen und Künstler beschädigte Stellen an ihren Bildern teilweise oder ganz neu malten. Sie führten diese Arbeiten immer wieder unermüdlich durch und warben dafür Spendengelder ein oder kamen selbst für die Kosten auf. 1996 gründeten einige Kunstschaffende die Künstlerinitiative East Side Gallery e.V. mit dem Künstler Kani Alavi als ihrem Vorsitzenden. Die Initiative hat sich über 30 Jahre lang für den Erhalt der längsten Galerie der Welt eingesetzt.
„Street Art ist flüchtige Kunst. Wenn die Mauer also lebt und die Menschen leben, wird die Mauer zwangsläufig bedeckt und das, was sich dort ursprünglich befand, gibt es dann also nicht mehr.“
„Ich habe das als eine Wiederbegegnung mit dieser Geschichte erlebt. […] Und das war eine gute Sache. Und auch ein gutes Signal, fand ich.“
Sanierung der Galerie
„Es war richtig eine groß angelegte Aktion, voll durchorganisiert. Während das ja 1990 damals eher so eine Art… Guerilla-Art-Happening war hier.“
Eine erste größere Sanierung erfolgte 1996, im Jahr 2000 wurden weitere Kunstwerke instandgesetzt. Aber unter den Kunstwerken bröckelte das Mauerwerk. Und auch die Bilder waren zunehmend in einem desolaten Zustand, viele von ihnen waren kaum noch zu erkennen. Die Künstlerinitiative überzeugte die Stadt Berlin und die Lottostiftung von der Notwendigkeit einer grundlegenden Sanierung. Dabei stellte sich heraus, dass eine Rekonstruktion und Restaurierung aller 106 Bilder einen zu großen finanziellen Aufwand bedeutet hätte. Einige Bilder waren so zerstört, dass eine Rekonstruktion nicht möglich schien. In Absprache mit dem Denkmalschutz und dem Land Berlin entschied man sich 2008/2009 dafür, alles auf Anfang zu setzen: Um den Maluntergrund der Kunstwerke zu stabilisieren und auch das Bauwerk Mauer zu erhalten, wurden die Bilder durch Sandstrahlen entfernt, der Beton wurde ausgebessert und es wurde mit weißer Farbe eine Grundierung geschaffen. Die Sanierung wurde von der Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung mbH (S.T.E.R.N.) mit einem Budget von mehr als 2 Millionen Euro durchgeführt.
„Es hieß, es sollte so sein, wie es vorher war. […] Da ist wieder der Punkt Veränderung. Man verändert sich und ich kopiere mich selber.“
Auf diese reparierte weiße Mauer malten 82 Kunstschaffenden ein zweites Mal ihre Kunstwerke auf. Die meisten gingen dabei originalgetreu vor, hatten noch ihre Skizzen von 1990 und bemühten sich, die Farbtöne wiederherzustellen. Einige nahmen dabei Veränderungen vor, weil sie etwas anders ausdrücken wollten als 1990 oder sie sich in ihrem künstlerischen Stil weiterentwickelt hatten. 17 Kunstwerke wurden von East Side Gallery-Kunstschaffenden kopiert, weil die ursprünglichen Künstlerinnen und Künstler verstorben waren, nicht gefunden wurden oder nicht mitwirken wollten. Fünf Kunstschaffende verweigerten die Erlaubnis zur Kopie. Sie waren mit dem Sanierungsverfahren nicht einverstanden und kritisierten die Verwendung der öffentlichen Gelder. Ihre Werke sind heute nicht mehr vorhanden. An Stelle der Bilder wurden die Mauersegmente in den Zustand von 1989 zurückversetzt, also weiß-grau angestrichen.
Ein Kunstwerk wurde nicht restauriert: „Hands“ von Peter Russell und Margaret Hunter wurde stattdessen im Zustand von 1990 konserviert und zeigt als einziges Original, wie die Bilder ursprünglich aussahen.
Kunst oder Denkmal?
Ist die East Side Gallery trotz der Sanierung ein authentisches Denkmal?
Wie positionierten sich die Kunstschaffenden zur Neubemalung?
Die Künstlerinnen und Künstler antworten zur Frage: Kunst oder Denkmal?
Kontroverse „Kunst oder Denkmal“
PDF-Download: Ein authentisches Denkmal? – Aufsatz von Leo Schmidt
Hier zeigen wir Ihnen eine kleine Auswahl der Veränderungen an den Bildern:
Jim Avignon: „Doin it cool for the East Side“
„Ich wollte ähnlich ironisch, und ich will mal sagen, nicht böse, sondern eher zum darüber lachen, das Berlin von 2013 darstellen.“
Jim Avignon beteiligte sich nicht an den Restaurierungen seines Bildes. Er kritisierte die Rekonstruktion der Originale mit dem Argument, dass sich Kunst im öffentlichen Raum auf aktuelle Verhältnisse beziehen sollte. Mit diesem Anliegen malte er sein Bild 2013 komplett neu, unterstützt von Kunstschülerinnen und -schülern aus Berlin. Das Originalbild von 1990 zeigte zahlreiche Ereignisse und Erlebnisse des Umbruchs 1989/1990. Sein neues Bild ist ein Panorama des gegenwärtigen Berlins bei Tag und bei Nacht.
Jim Avignon: „Doin it cool for the East Side“
Hans-Peter Dürhager und Ralf Jesse: „Der müde Tod“
Die Künstler gaben ihrem Bild im Rahmen der Sanierungsarbeiten 2008/2009 eine andere Farbgestaltung.
Hans-Peter Dürhager und Ralf Jesse: „Der müde Tod“
Andreas Kämper und Jens Hübner: „Ohne Titel“
„Es war ja nicht dafür gedacht, dass es ein Kunstwerk der Unvergänglichkeit sein sollte. Also zumindest aus meinem Verständnis heraus, und glücklicherweise auch von anderen.“
Die Künstler klebten 1990 zwei großformatige Fotos auf die Mauer. Bei der Sanierung 2008/2009 wurde ihr Bild von einem anderen Künstler der East Side Gallery rekonstruiert. Dabei wurde das Foto auf die Mauer gemalt, nicht wie beim Original als vergrößertes Foto aufgeklebt. Andreas Kämper war von der Sanierung nicht informiert worden und beschwerte sich danach beim Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain über die Kopie. Er durfte sein Bild jedoch nicht originalgetreu herstellen.
Andreas Kämper und Jens Hübner: „Ohne Titel“
Susanne Kunjappu-Jellinek: „Curriculum Vitae“
Die Künstlerin gab ihrem Bild bei der Sanierung 2008/2009 eine neue Farbigkeit und veränderte weitere Details. Stand das Bild von 1990 vor allem noch für die Freude über den Mauerfall, betonte die Künstlerin 20 Jahre danach die Erinnerung an die Todesopfer an der Berliner Mauer. Für jedes malte sie eine Rosenblüte an die entsprechende Jahreszahl.
Susanne Kunjappu-Jellinek: „Curriculum Vitae“
Birgit Kinder: „Test the Rest“
„Da habe ich mir gedacht, da mache ich aus dem "Test the Best", weil das muss man ja nicht mehr testen, weil auf beiden Seiten ist es mittlerweile gleich, "Test the Rest". Dass die Leute sagen, wo ist der Rest Mauer?“
Der berühmte Trabi von Birgit Kinder war 1990 mit dem Titel „Test the Best“ voller Freude über die Möglichkeit, den Westen kennen zu lernen. Den Titel änderte sie aber 2009 in „Test the Rest“. Sie kritisierte damit, dass die East Side Gallery nicht als Gesamtkunstwerk erhalten blieb. Birgit Kinder hat ihr Bild vier Mal rekonstruiert bzw. neu gemalt und dabei z.B. auch das Nummernschild geändert.
Birgit Kinder: „Test the Rest“
Jay One: „Ohne Titel“
Der französische Künstler Jacky Ramier widmete 1990 sein Bild an der East Side Gallery der jungen Graffiti- und Style-Szene West-Berlins und Europas. Ihre Namen sind im Hintergrund zu lesen. In der Version von 2009 hat er die Namen reduziert und damit u.a. die Kreuzberger Jugendgang 36 Boys und Ganggründer Maxim hervorgehoben.
Andreas Paulun und Hervé Morlay: „Amour, Paix-Sagesse“
„Jemand Unbekanntes hat eine sehr niedliche Schablone angebracht: den Kopf eines lächelnden Jungen und das ist jetzt ein Teil des Kunstwerks geworden. Ich finde das lustig und irgendwie war es ja auch das Ziel, an irgendeiner Stelle ein bisschen Platz für intelligente Menschen zu lassen, ohne meine eigene Arbeit zu zerstören, sondern damit sie etwas ergänzen können.“
Hervé Morlay hat sein Bild 2009 stark verändert und wurde dafür von anderen East Side Gallery-Kunstschaffenden kritisiert. 1990 war das Bild weniger bunt und nicht grundiert. Paulun und Morlay hatten 1990 sogar die Plakate an der Mauer belassen und Platz gelassen für Streetart anderer Künstlerinnen und Künstler. Ihr Bild von 2009 wirkt im Vergleich dazu vollendet. Es sind auch Porträts berühmter Personen neu hinzugekommen, aber die Künstler verwendeten auch ihre Schablonen von 1990.
Andreas Paulun und Hervé Morlay: „Amour, Paix-Sagesse“
Gruppe „Stellvertretende Durstende“: „Wir haben versucht, Farben über die Mauer hinübergelangen zu lassen“
Für ihr Bild hatten die Mitglieder der ungarischen Künstlergruppe „Stellvertretende Durstende“ 1990 versucht, Farbeimer über die Mauer zu werfen. Der fünfte Versuch der Aktionskunst-Performance gelang. Bei der Sanierung 2009 wollten die Künstler das Bild durch gezieltes Werfen möglichst originalgetreu wiederherstellen.
Stellvertretende Durstende: „Wir haben versucht, Farben über die Mauer hinübergelangen zu lassen“
Verschwundene Kunstwerke
Barbara Greul Aschanta, Karin Porath, Bodo Sperling, Siegfried Santoni und Christos Koutsouras beteiligten sich nicht an der Sanierung 2008/2009. Gemeinsam mit anderen Kunstschaffenden organisierten sie sich in der „Gründerinitiative East Side Gallery“ und kritisierten die Sanierung und die aus ihrer Sicht fehlende – auch finanzielle – Würdigung und Einbeziehung der Künstlerinnen und Künstler. Die Fläche, auf der sich ihre Bild befanden, sind seitdem weiß-grau gestrichen und sollen an den Zustand der Mauer zu Teilungszeiten erinnern.